Man muss die Dinge so einfach wie möglich machen, aber nicht einfacher.
(Albert Einstein)
BCF
Die natürliche Weisheit des Körpers
Singen als reflektorisches Geschehen
Gesang als elementare Möglichkeit zur Äußerung von Innerlichem, als Quelle von Freude und Gesundheit, als kulturelle, rituelle und spirituelle menschliche Ausdrucksform ist elementarer Bestandteil des Lebens, seit es Menschen gibt. Mehr noch: Singen in der Form, wie wir Menschen es tun, ist tatsächlich etwas, was unsere Spezies, den homo sapiens sapiens, von allen anderen Spezies unterscheidet: durch unseren speziellen Körperbau sind wir als Einzige in der Lage, diese Lautäußerung hervorzubringen.
Singen in der Form, die Eugen Rabine als `Funktionalen Gesang` bezeichnet hat, ist der komplexeste zusammengesetzte Reflex, den der menschliche Körper besitzt, und das bedeutet, dass er, wie alle anderen Reflexe auch, jedem menschlichen Körper angeboren ist.
Die Aufgabe, singen zu lernen, besteht also nicht darin, etwas Neues, dem natürlichen Verhalten Widersprechendes oder zumindest Aufgesetztes zu erlernen, sondern vielmehr darin, etwas bereits Vorhandenes von Gewohnheiten und Schutzmechanismen zu befreien, so dass sich das, was schon von Natur aus angelegt ist, aus sich selbst heraus entfalten, durch die Selbstheilungskraft des Körpers von allein regulieren kann, um die evolutionäre Funktion dieses Verhaltens, glücklich zu machen und Verbundenheit im Augenblick zu erfahren, (wieder) in vollem Maß erfüllen zu können.
Das funktionale Stimmtraining eignet sich für alle Stilrichtungen und genauso für Menschen in Sprachberufen, da der stimmige, natürliche Umgang mit den vorhandenen Ressourcen und das Auflösen von Fehl- bzw. Schutzspannungen die Stimmfunktion grundsätzlich verbessert; die ganzheitliche Auswirkung. dieser Körperarbeit führt zur Steigerung der Gesundheit sowohl in körperlicher als auch in emotionaler Hinsicht. Singen ist ein neuronalen Programm, das Physis und Psyche ausbalanciert und heilt, und an dem alle Anteile der menschlichen Existenz beteiligt sind.
Kurze Geschichte der Evolution der Gesangsfunktion
Singen in der 'funktionalen' Weise, wie Eugen Rabine es versteht, ist eine Art, den Körper als klangerzeugende Instrument zu benutzen, die dem Homo Sapiens auf Grund seiner speziellen Anatomie als einzigem Lebewesen zur Verfügung steht. Allein die echte Aufrichtung des Körpers mit seinem Klangraum im Inneren, der sich von den schwingenden Stimmlippen bis zum geschlossenen Gaumensegel beim erwachsenen Menschen etwa 12 bis 15 cm vertikal nach oben erstreckt, ermöglicht nämlich die Entstehung einer stehenden Welle (wie beim Blasinstrument) in der differenzierten Form, dass ein sich selbst regulierender reflektorischer Ablauf zwischen einem antagonistisch arbeitenden Muskelpaar (dem musculus vocalis und dem musculus crycothyroideus) entstehen kann, bei dem ein Grundtremor von etwa 5 bis 7 hz für ausgleichende Entlastung während der kontinuierlichen Belastung der Muskulatur sorgt. Diese Funktion entwickelt jedes entgegengesetzt agierende Muskelpaar bei Dauerbelastung, es entsteht ein Zittern. Da bei den Muskeln des Vokaltraktes Töne erzeugt werden, ist dieses Zittern als sogenanntes Vibrato hörbar, wenn die Funktion balanciert arbeitet.
Dies ist nur möglich durch die starke Senkung des Kehlkopfes während der Entwicklung von Kind zum erwachsenen Menschen, die so nur beim Menschen vorkommt, da sonst die anatomischen und akustischen Voraussetzungen für eine derartig differenzierte Erzeugung von Tönen nicht möglich wäre. Anders gesagt, die aufgerichtete Körperhaltung ist die Voraussetzung für Singen, und im Übrigen auch für den differenzierten Gebrauch unserer Artikulationsmuskulatur beim Sprechen und auf diese Weise für die Entwicklung der menschlichen Kultur allgemein.
Nach neueren Erkenntnissen hat sich diese Haltung, die uns von allen anderen Tieren unterscheidet, in zwei Schritten vollzogen: Als die frühen Vorfahren des Menschen sich auf die Bäume schwangen, um neue sichere und nahrungsreiche Lebensräume zu erschließen, wurde außer dem Überdruckventil, (den sogenannten Taschenfalten,) das die evolutionäre Aufgabe hat, von außen eindringende Fremdkörper durch den Hustenreflex wieder hinauszuschleudern, und das die Ausübung von Druck weg vom Körper (z. B. beim Gebären oder der Ausscheidung) ermöglicht, ein Unterdruckventil nötig, um bei über den Kopf gehobenen Armen eine allzu starke Aufblähung der Lunge zu verhindern. Das waren die Vorläufer der Stimmlippen. Als später in einem 'second waterperiod' bezeichneten Entwicklungsschritt die Hominiden ihren Lebensraum von den Bäumen an die Ufer der Flüsse, Seen und Ozeane verlegten, und ihr Nahrungsangebot erweiterten, indem sie lernten, im seichten Wasser Fische zu fangen (dafür spricht auch der stromlinienförmige Körperbau, der sich von dem aller anderen Primaten deutlich unterscheidet, die horizontale Nasenöffnung, die das Eindringen von Wasser erschwert und die Reste von Schwimmhäuten zwischen den Fingern, sowie die Größe und der Eiweißbedarf unseres Gehirns, der allein durch die Nahrung der anderen Primaten niemals gedeckt werden könnte), veränderte sich der Körperbau, durch den Auftrieb des Wassers unterstützt, bis die vollständige Aufrichtung möglich wurde, und dadurch auch der Kehlkopf sich in den verlängerten Hals absenkte und stark an Beweglichkeit zunahm. Damit waren die anatomischen Voraussetzungen für Gesang (entwicklungsgeschichtlich früher) und Sprache geschaffen. Noch heute entwickelt sich jedes neugeborene Kind auf die gleiche Weise, und 'funktionaler' Gesang mit dem Vibrato als Regulativ ist daher auch erst nach der Pubertät, der vollständigen Kehlkopfsenkung möglich, davor gibt es in der Regel nur eine Form des Rufens bzw. auch Schreiens, um Töne zu erzeugen.